Fokusthema Juni 2024: Was passiert, wenn das Erdmagnetfeld umpolt?

Blick ins Erdinnere. Hier finden wir den «Motor» des Erdmagnetfelds. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)
Blick ins Erdinnere. Hier finden wir den «Motor» des Erdmagnetfelds. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Beitrag: Thomas Baer, Redaktion ORION

Thema des Monats: Was passiert, wenn das Erdmagnetfeld umpolt?

Eine mögliche Umpolung des Erdmagnetfeldes sorgt immer wieder für Schlagzeilen, nicht zuletzt deswegen, weil der magnetische Nordpol der Erde seit den 1990er-Jahren nicht mehr nur wandert, sondern geradezu eilt. Doch was hat es mit dieser raschen Verschiebung auf sich und welche spürbaren Auswirkungen hätte ein solches Ereignis effektiv?

Ist die ganze Thematik blosse Panikmache oder ist doch etwas dran an der Sache? Diese Frage treibt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um, die sich mit dem Magnetfeld der Erde beschäftigen. Doch um zu verstehen, wie das Erdmagnetfeld überhaupt entsteht, müssen wir ins Erdinnere schauen. Hier nämlich ist der Erzeuger zu finden, der für etwa 95 % des Magnetfelds verantwortlich ist; der flüssige äussere Erdkern. Wir sprechen von einem Geodynamo. Diese Theorie hat sich heute weitestgehend durchgesetzt. Sie geht von einer elektrisch leitenden Flüssigkeit aus, die mit dem flüssigen und stark eisenhaltigen äusseren Erdkern, der den festen und ausschliesslich aus Eisen bestehenden Erdkern umgibt, gegeben ist. Bei Temperaturen von an die 5'000 °C – fast so heiss wie die Sonnenoberfläche – sind Eisen und Nickel in diesem Bereich und bei enormem Drücken selbst nicht magnetisch, aber elektrisch leitend.

Das Erdmagnetfeld schematisch dargestellt. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)
Das Erdmagnetfeld schematisch dargestellt. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Die Dynamotheorie beschreibt des Weiteren, dass Konvektionsströmungen im Erdmantel infolge der Erdrotation durch die Corioliskraft abgelenkt werden und in eine Art «Schraubenform» gezwungen werden. Diese komplexen Bewegungsmuster sind allerdings, wie Computersimulationen zeigen, viel dynamischer als uns die Theorie offenlegt.
Weiter haben die Forschenden herausgefunden, dass der feste innere Erdkern gegenüber seiner direkten Umgebung «überrotiert», also eine Superrotation vollführt. Aktuell rotiert der innere Kern schneller als der Erdmantel.

Das Erdmagnetfeld schützt uns vor Sonnenstürmen

Die Form des Erdmagnetfelds lässt sich bildlich mit einem Stabmagneten vergleichen, in dessen Zentrum sich ein Magnetkern, in unserem Fall der flüssige äussere Erdkern, befindet. An beiden Enden des Magneten befinden sich die Pole, ein magnetischer Nord- und ein magnetischer Südpol. Die Feldlinien verlaufen dabei vom Nord- zum Südpol und schneiden sich dabei nicht.

Wanderschaft des magnetischen Pols seit 1590. Wir erkennen, dass sich dieser bis ca. 1994 mehr oder weniger östlich der kanadischen Victoriainsel bewegte, seit dann aber in raschem Tempo am Nordpol vorbei in Richtung Sibirien bewegt. (Quelle: Wikipedia)
Wanderschaft des magnetischen Pols seit 1590. Wir erkennen, dass sich dieser bis ca. 1994 mehr oder weniger östlich der kanadischen Victoriainsel bewegte, seit dann aber in raschem Tempo am Nordpol vorbei in Richtung Sibirien bewegt. (Quelle: Wikipedia)

Doch unsere Sonne, respektive der Sonnenwind, verformen das Magnetfeld der Erde erheblich. Während es sonnenseitig die Struktur eines Stabmagneten zeigt, erscheint es sonnenabgewandt arg deformiert und bildet eine Art Schweif. Wichtig ist zu wissen: Das Erdmagnetfeld durchdringt und umgibt die Erde und schützt uns vor unter anderem den Sonnenwind. Ein geschwächtes Erdmagnetfeld hätte schwerwiegende bis katastrophale Auswirkungen zu Zeiten hoher Sonnenaktivität.
Beim erst kürzlich beobachteten Sonnensturm am 10. und 11. Mai 2024, als nicht weniger als sechs Plasmafronten des Sonnenwinds nacheinander die Erde trafen, war das Erdmagnetfeld kurzzeitig arg gestört; mit ein Grund, weshalb wir wohl Polarlichter bis in weit südliche Breiten erleben konnten.

Normale Anomalien?

Während sich der magnetische Nordpol zu Beginn des 20. Jahrhunderts östlich der kanadischen Victoria Insel entlang bewegte, wandert dieser seit den 1990er-Jahren rund 50 km pro Jahr über das arktische Meer in Richtung geografischer Nordpol; so schnell, dass manche Forschende die aktuelle «Raserei» als Vorbote einer möglichen Umpolung sehen. Das letzte Mal fand ein solches Ereignis vor rund 780'000 Jahren statt und ist demnach statistisch betrachtet, längst überfällig. Übrigens: Der aktuelle «magnetische Nordpol» ist magnetisch gesehen derzeit ein «Südpol», im ersten Moment etwas verwirrend. Grundsätzlich sprechen Experten stets vom arktischen Magnetpol, egal seiner Polarität.

Am Mittelozeanischen Rücken driftet die neu entstandene ozeanische Kruste auseinander. Im Moment, wo das Magma durch die Abkühlung erstarrt, richten sich alle ferromagnetischen Mineralpartikel am aktuellen Erdmagnetfeld aus. Somit haben die Wissenschaftler am Meeresgrund einen «historischen Strichcode». (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)
Am Mittelozeanischen Rücken driftet die neu entstandene ozeanische Kruste auseinander. Im Moment, wo das Magma durch die Abkühlung erstarrt, richten sich alle ferromagnetischen Mineralpartikel am aktuellen Erdmagnetfeld aus. Somit haben die Wissenschaftler am Meeresgrund einen «historischen Strichcode». (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Andere Wissenschaftler sehen die Wanderschaft des magnetischen Pols etwas entspannter und vermuten einen rund 400 km breiten horizontalen Strom im Erdmantel, den sie 2017 in etwa 3'000 km Tiefe unter Kanada und Russland orten konnten und der mit etwa 40 km pro Jahr fliesst.

Wie ein Blick auf die Karte unten zeigt, ist der arktische Magnetpol ständig in Bewegung und kann seine Richtung jederzeit ändern, wie dies etwa 1632, 1730 oder 1859 der Fall war. Wir haben es mit einem dynamischen System zu tun, das noch wenig erforscht ist. So können Strömungsanomalien eine grosse Wirkung haben. Dabei können auch kleinere Störungen einen erheblichen Einfluss auf das Erdmagnetfeld haben, sind sich die Wissenschaftler sicher. Andere Anomalien dagegen sind vor längerer Dauer. So etwa registrierte bereits der deutsche Forscher Alexander von Humboldt eine Schwächezone des Erdmagnetfelds im Bereich Südatlantik sowie Lateinamerika und Südafrika.

Diese südatlantische Anomalie soll bis in die mittleren 2030er-Jahre bereits die halbe Erde umspannen. Dies geht aus Daten der Swarm-Satelliten hervor.

Wie oft fanden Magnetfeldumpolungen statt?

Interessant wird es, wenn man in die Geschichte eintaucht. Wie konnte man überhaupt herausfinden, dass solche Magnetfeldumpolungen stattfanden? Die Forscher machen sich dabei die natürliche Remanenz, die Magnetisierung von Gesteinen zu Nutze. Bei magmatischen Gesteinen richten sich beim Abkühlen alle ferromagnetischen Mineralpartikel am Erdmagnetfeld aus. So ist vor allem die ozeanische Kruste von besonderem Interesse, da sie uns über einen Zeitraum der vergangenen 100 Millionen Jahre Aufschluss über die Ausrichtung des Magnetfelds gibt. Entlang von Mittelozeanischen Rücken gelangt Magma an die Oberfläche und spreizt so die Meereskruste beidseitig (Seafloor spreading). Durch das sofortige Abkühlen und Erstarren «erstarrt» auch die magnetische Ausrichtung der Mineralpartikel. Den Forschern wird es so möglich, die «magnetische Geschichte» der Erde vergleichbar der Dendrochronologie (an Baumringen) an einem Strichcode weit in die Vergangenheit zurückverfolgen.

Die Forschenden konnten erkennen, dass das magnetische Hauptfeld über längere Zeiträume zwar stabil bleibt, jedoch Intensitätsschwankungen zeigt und sich in einigen Hunderttausenden von Jahren umpolt. Solche Polsprünge finden rund alle 250'000 Jahre statt, doch das letzte vergleichbare Ereignis liegt, wie schon erwähnt, 780'000 Jahre zurück.

Geologisch gesprochen häufiger treten allerdings kurzzeitige Einbrüche auf, von denen sich das Erdmagnetfeld wieder neu und in derselben Richtung aufbaut. Zwei solche Ereignisse, das Laschamp-Ereignis vor etwa 42'000 Jahren und die Mono-Lake-Exkursion vor 34'000 Jahren waren kurzzeitige Umpolungsereignisse. Die ganze Episode von der Abschwächung bis hin zur Wiederstabilisierung dauerte bloss wenige tausend Jahre. Die Phase der Polumkehr währte noch kürzer.

Welche Folgen hätte eine Magnetfeldumpolung?

Über diese Frage gibt uns das Laschamp-Ereignis Aufschluss. Forscherinnen und Forscher untersuchten in Neuseeland in einem Sumpf konservierte, aus jener Zeit stammende Bäume auf dieses Ereignis. Dabei konnten sie eine Abschwächung des Magnetfelds lange vor dessen Umkehrung nachweisen. Sie vermuten, dass die Feldstärke damals auf bis unter 6 % des normalen Werts gesunken sein könnte. Die Auswirkungen hätten nicht nur Folgen auf unsere Atmosphäre, sondern generell auf das Klima und das Leben auf unserer Erde gehabt, weil der wichtigste Schutz gegen harte Strahlung aus dem All schwächelte.

Die Wissenschaftler untersuchten Baumringe auf den Gehalt des Isotops Kohlenstoff-14, das in der Erdatmosphäre vermehrt gebildet wird, wenn das Magnetfeld an Stärke abnimmt und die kosmische Strahlung Stickstoffatome zu Kohlenstoff «zerschlägt». Das Laschamp-Ereignis begann vor 41'500 Jahren, doch schon vor rund 42'350 Jahren nahm der C14-Wert in der Atmosphäre signifikant zu und die Magnetfeldstärke nahm auf praktisch null Prozent ab, sprich, es existierte kein Erdmagnetfeld mehr und der natürliche Schutzschild gegen die kosmische Strahlung war komplett weg! Die Ozonschicht war ausgedünnt, da die Strahlung die Sauerstoffmoleküle auseinanderriss. Polarlichter rund um den Erdglobus müssen die Folge gewesen sein.

Simulationen ergaben weiter, dass es in der Erdatmosphäre zu grossen Veränderungen kam, insbesondere der dominierenden Luftzirkulationen. Der verstärkte Einfall von UV-Strahlung (infolge der ausgedünnten Ozonschicht) führte etwa zu einem kühleren und trockeneren Klima in den gemässigten Breiten der Erd-Südhalbkugel, was zu erheblichen Einflüssen auf die Fauna und Flora sowie auf die Menschheitsentwicklung hatte.

Fazit: Eine Abschwächung des Erdmagnetfelds würde also nicht ganz spurlos an uns vorbeigehen. Doch die Auswirkungen würden wir nicht sofort, sondern schleichend und über einen sehr langen Zeitraum spüren.

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